Es brauchte einen niederschmetternden Anlass dafür, dass die Welt nun endlich über (strukturellen) Rassismus spricht: den brutalen Mord an George Floyd, einem Schwarzen US-Amerikaner, verübt durch weiße Polizisten. Floyds acht Minuten und 46 Sekunden langer Todeskampf, aufgezeichnet durch die Bodycams seiner Mörder, ging um den gesamten Globus und führte zu heftigen Protesten gegen Polizeigewalt gegen BPoC: #BlackLivesMatter zog inmitten der Corona-Pandemie Millionen Menschen auf die Straßen. Floyds gewaltsamer Tod war offenbar der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Und es war ein verdammt großes Fass. Seit Jahrzehnten machen AktivistInnen in den USA darauf aufmerksam, dass PolizistInnen überproportional oft gegen Schwarze vorgehen und dabei deutlich aggressiver als bei Weißen sind. Seit Jahrzehnten häufen sich die Berichte über Schwarze, die bei Routine-Einsätzen wie Verkehrskontrollen erschossen werden (Philando Castile, Samuel DuBose, Levar Jones). Berichte darüber, wie Schwarze Kinder getötet werden, weil sie mit einer Spielzeugpistole im Park hantieren (Tamir Rice). Berichte darüber, wie Schwarze von Polizisten ermordet werden, weil sie eine Packung Zigaretten geklaut haben (Darren Wilson), joggen gehen (Ahmaud Arbery) oder vor ihrer Garageneinfahrt stehen (Ernest Satterwhite). Struktureller Rassismus ist real. Das hat nun offenbar auch endlich ein Teil der Weißen kapiert.
Der Podcast als Empowerment-Plattform für BPoC
BPoC – nicht nur aus den USA – können darüber nur müde lächeln. Wer eine Hautfarbe hat, die nicht der hellen “Norm” entspricht (ein schöner Anhaltspunkt dafür ist diese Szene aus Family Guy), lernt von klein auf, mit “routinemäßigen” Polizeikontrollen, misstrauischen Blicken der Nachbarn und offenen oder verdeckten rassistischen Beleidigungen zu leben. Und versucht, Weiße über ihre Privilegien aufzuklären (auch wenn weiße Menschen es hassen, ihr Selbstbild beschädigt zu sehen). Meistens im Alltag, manchmal in Büchern wie Why I’m No Longer Talking to White People About Race und Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten (gibt’s als Hörbuch auf Spotify) oder, das ist ein relativ neues Phänomen, in Podcasts. “Podcasts sind ein intimes Medium. Deshalb können sie eine wirkmächtige Plattform für unterrepräsentierte Stimmen in der Gesellschaft sein”, schreibt Deutschlandfunk Kultur. Klar ist: Die notorisch weiße Podcast-Bubble kann etwas Diversität dringend vertragen.
In den USA klappt das schon ziemlich gut. 1619 beispielsweise, ein extrem erfolgreicher Podcast der New York Times, widmet sich, so spannend erzählt wie eine Netflix-Serie, der Geschichte der amerikanischen Sklaverei. Bei Code Switch von NPR dreht sich alles um Race und die weitreichenden Auswirkungen der Hautfarbe auf Leben, Liebe und Job. Und Intersectionality Matters! wird von keiner anderen als Kimberlé Crenshaw gehostet, der Frau, die der Welt das Konzept der Intersektionalität geschenkt hat (wer nicht weiß, was das ist, sollte diesen wichtigen TED-Talk gucken).
Die deutschen Podcast-Charts zeigen sich ziemlich kartoffelig
Die deutschen Podcast-Charts hingegen versammeln zwar so viele weiße Almans auf einem Fleck, wie es sonst nur der Ballermann schafft, aber es gibt zumindest ein paar progressive Lichtblicke. Tupodcast zum Beispiel, den Podcast der Anti-Rassismustrainerin und Aktivistin Tupoka Ogette, der Gesprächen zwischen Schwarzen Frauen eine Bühne bietet. Oder Halbe Katoffl, eine Gesprächsreihe mit Deutschen, die nicht-deutsche Wurzeln haben. Oder Black & Breakfast. Oder Weißabgleich. Oder Kabusbox. Oder Feuer & Brot. Oder, oder, oder…
Zuhören ist ein solidarischer Akt
Eine großartige Liste an Podcasts “von und mit Schwarzen Hosts, People of Color, Podcaster:innen mit Migrationsgeschichte, Jüd:innen, Muslim:innen, postmigrantischen und diasporischen Stimmen” hat die Medienforscherin Nele Heise hier zusammengestellt. Sie hält fest: Zuhören, das ist ein solidarischer Akt. Mehr noch: Wer der Mehrheitsgesellschaft angehört, ist dazu verpflichtet, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Uns Weiße sollte es nämlich deutlich mehr aufregen, dass es nur zwei Afrodeutsche Straßen in Deutschland gibt. Dass kaum Datenerhebungen über Schwarze Menschen in Deutschland existieren und dass rassistische Polizeigewalt nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande Menschenleben fordert. Dass unser Innenminister eine geplante Racial Profiling-Studie einfach mal so ins Wasser fallen lässt und dass in der Bundeswehr Rechtsextremismus ungehemmt grassieren darf.
#BlackLivesMatter darf sich in Deutschland nicht nur auf ein paar Demonstrationen beschränken. Wir sollten die Bewegung zum Anlass nehmen, die Ohren aufzusperren und all denjenigen zuzuhören, deren Lebensrealitäten sich von unseren unterscheiden. Und nie war das bequemer – muss man doch lediglich die Podcast-App seiner Wahl öffnen.