Was die Entertainment-Branche im Allgemeinen angeht, sind uns die USA immer ein kleines Stückchen voraus. So auch bei Podcasts: Gehört werden diese nämlich von ganzen 37 Prozent der Amerikaner, bei den Deutschen sind es nur 26 Prozent. Dabei nicht zu vergessen ist die enorme Bevölkerungsgröße der USA: 37 Prozent von 328 Millionen US-Bürgern sind 121.360.000, also knapp einhundert Millionen Podcasthörer mehr als in Deutschland (21,6 Millionen).
Business Insider prognostiziert für die US-amerikanische Podcast-Branche 863 Millionen Dollar in Werbeeinnahmen für 2020 und die Aussicht auf über eine Milliarde im Jahr 2021. Mal zum Vergleich: 2016 waren es noch mickrige 169 Millionen. Selbst von solchen Zahlen kann man hierzulande bislang nur träumen.
Labern ohne Einschränkung: Das Erfolgsgeheimnis von Joe Rogan
Kaum verwunderlich also, dass der kommerziell erfolgreichste Podcast der Welt aus den USA kommt: The Joe Rogan Experience von Comedian Joe Rogan verzeichnet für 2019 Einnahmen von 30 Millionen Dollar und fast 200 Millionen Downloads pro Monat. Ab dem 1. September wird der Podcast ausschließlich auf Spotify zu hören sein – Rogan unterzeichnete unlängst einen 100 Millionen Dollar schweren Exklusiv-Deal mit dem schwedischen Audio-Streamingdienst.
Überhaupt kommt man in Sachen US-Podcasts an The Joe Rogan Experience nicht vorbei. Bei Rogan geben sich Persönlichkeiten von Robert Downey Jr. bis Bernie Sanders die Klinke in die Hand und diskutieren teils über mehrere Stunden hinweg mit dem ehemaligen UFC-Kommentator. Rogans Erfolg dürfte hauptsächlich in der Vielfältigkeit seiner Gäste begründet liegen. Diese verkörpern einen wilden Mix unterschiedlichster politischer Strömungen und Rogan verzichtet auch nicht darauf, ultrarechte Konservative wie Alex Jones in seine Sendung einzuladen. Er spricht schlichtweg mit allen, die zu ihm in die Sendung kommen wollen: “Ich mache, whatever the fuck ich machen will”.
The Times erschließt mit The Daily neue Zielgruppen, My Favorite Murder legte den Grundstein für ein Podcast-Netzwerk
Neben Rogan gibt es einige weitere Power-Player in der US-Podcast-Szene, die nicht zwingend auf Plaudereien mit Promis setzen. The Daily, ein News-Podcast der New York Times, erreicht zwei Millionen Hörer pro (Werk-)Tag. Rund 30 Minuten lang summieren Journalisten der Times ihre aktuellen Reportagen und interviewen Gäste. “It has transformed our audience’s relationship with The Times and brought in an entirely new audience, which has been introduced to and fallen in love with The Times and its journalists in this form”, heißt es in einem Statement, das die Arbeit der Produzentin Theo Balcomb am Podcast würdigt.
Durch seine außerordentlich große, aktive und überwiegend weibliche Fanbase geradezu ein soziokulturelles Phänomen ist My Favorite Murder. Ein True Crime Podcast, der, so könnte man behaupten, neben Serial erst den Weg für Crime Junkie, Zeit Verbrechen, Mordlust und Co. geebnet hat. Die Hosts Karen Kilgariff and Georgia Hardstark lernten sich 2014 passenderweise auf einer Halloween-Party kennen, veröffentlichten 2016 ihre erste Episode von My Favorite Murder und gründeten Ende 2018 das Podcast-Netzwerk Exactly Right. My Favorite Murder kommt auf 34 Millionen monatliche Hörer, Exactly Right auf einen Umsatz von 10 Millionen Dollar.
True Crime- und Wissens-Podcasts als Spitzenreiter
Ganz allgemein scheint True Crime bei den Amerikanern ausnehmend gut anzukommen. Laut Edison Research belegen Crime Junkie und My Favorite Murder Platz vier und fünf der Top 10 Podcasts im ersten Quartal von 2020. Und noch ein zweites Genre ist extrem beliebt: Der Wissens-Podcast. Dazu zählen lassen sich neben The Daily auch Stuff You Should Know (Platz 6), Wait Wait… Don’t Tell Me! (Platz 7) sowie Planet Money (Platz 9), wobei die beiden letzten vom nichtkommerziellen Podcast-Powerhouse NPR stammen.
Woher die flächendeckende Faszination an Mordgeschichten kommt, muss man spätestens seit Tiger King nicht länger hinterfragen. Der offensichtliche öffentliche Bedarf an verständlich aufbereitetem Wissen ist umso spannender. Immerhin sind ganze 40 Prozent der beliebtesten US-Podcasts Wissens-Podcasts. Ganz genauso sieht es übrigens in Deutschland aus: Die iTunes-Podcast-Charts vom 12. Juni 2020 platzieren insgesamt vier Wissens-Podcasts in ihrer Top 10: Das Coronavirus-Update mit Christian Drosten (Platz 1), Steingarts Morning Briefing (Platz 3) Synapsen (Platz 7) und Acht Milliarden (Platz 9).
Ohren auf: Was kann Deutschland von der US-Podcast-Szene lernen?
Was bleibt nun vom Blick auf die US-Podcast-Szene? Zum einen erneut die Einsicht, dass es nicht das eine Thema, die eine Episodenlänge gibt, die mit Sicherheit zum Erfolg bei den Hörern führt. Zum anderen die Hoffnung, dass sich die deutsche Scheu vor Podcast-Werbung mit der Zeit abschwächen wird. Das enorme Wachstum der Werbeeinnahmen im US-Podcast-Markt über die letzten Jahre beweist, dass Podcast-Werbung im Marketing-Mix der Zukunft auf keinen Fall fehlen darf. Und dass alle, die Podcasts heute immer noch als Nischenphänomen sehen, womöglich sehr bald den Anschluss verpassen werden.